Preisverleihung (Hep Monatzeder und Nikolaus Brass)
Foto Michael lucan
Musikpreis der Landeshauptstadt München 2009 für Nikolaus Brass
Neue Musik ist ein recht weiter Begriff, der nichts und zugleich alles sagt: Diese Musik ist anders, will er sagen: die Neue Musik überwindet die ästhetischen Grundlagen, die Stilmittel der herkömmlichen Musik, und zwar alle. Und immer anders. Eigentlich gibt es nicht die Neue Musik, sondern es gibt viele Spielarten, die sich unter diesem Oberbegriff tummeln.
Eine dieser Spielarten ist die von Nikolaus Brass. Ihm wurde gestern, am 29. Juli 2009, der Musikpreis 2009 der Landeshauptstadt München verliehen. Mit einer Dotierung von 10.000 Euro wird er alle drei Jahre an verdiente Persönlichkeiten, die eine enge Verbindung zu München als Ort ihres Schaffens haben, für ein herausragendes Gesamtwerk vergeben. Unter den bisherigen PreisträgerInnen sind Klaus Doldinger, das Münchener Kammerorchester, Wilhelm Killmayer und Brigitte Fassbaender.
Die Jury nennt Nikolaus Brass in der Begründung für die Preisverleihung den „aktuell interessantesten und eigenwilligsten Komponisten im deutschsprachigen Raum“ und sagt weiter: „Charakteristisch für seine Musik sind fließende Zeitprozesse, Fragen von Ordnung und Störung, das unprätentiöse Abtasten der akustischen Außenfläche nach dem, was sie als Widerhall in sich birgt sowie Aspekte der menschlichen Existenz, des Erinnerns und Vergessens, dem permanenten Kreisen von Verlieren und Wiederfinden.“
Solch eine Beschreibung der Musik von Nikolaus Brass erschreckt den unbewaffneten Laien und lässt verstehen, warum Neue Musik, auch die von Nikolaus Brass, gelegentlich als „zu intellektuell“ geschmäht wird.
Die Musik – man sollte deren Hintergrund kennen, um sie genießen zu können: „Wenn man mit seiner Musik in ein unvoreingenommenes Publikum geht und ein paar Vermittlungsschritte macht, dann ist eine große Offenheit für diese Musik da, die sonst auf den Hörer vielleicht als zerrissen, als unzusammenhängend, als zu gebrechlich wirkt“, so erklärt Nikolaus Brass selbst.
Gut 300 Besucher kamen zum Empfang im Alten Rathaussaal, in dem Nikolaus Brass der Preis von Bürgermeister Hep Monatzeder überreicht wurde. Diesen Besuchern, der Familie, Freunden, Bekannten und KollegInnen aus der Welt der Musik, musste Nikolaus Brass‘ Musik nicht vermittelt werden.
Sie freuten sich über die Preisverleihung und auf die Uraufführung seines zweiten Werkes für Streichertrio, „Glanz“, von Nikolaus Brass speziell für diesen Anlass komponiert. Nach der Replik des Preisträgers wurde es vom Trio Coriolis vorgetragen.
Ein Stück, das zunächst wirklich zerrissen und unzusammenhängend wirkt. Das liegt aber daran, dass es in gewisser Weise den Lebenslauf von Nikolaus Brass nachzeichnet und sowohl die ermutigenden Schritte seiner musikalischen Entwicklung wie die Enttäuschungen und Schicksalsschläge auf seinem Weg in Musik umsetzt. Welch andere Interpretations-Möglichkeit bleibt, kann man doch die unmittelbar zuvor gehörten Reden als „Vermittlungsschritte“ für diese Musik auffassen?
Haimo Liebich, Stadtrat der SPD in München und Jury-Mitglied, erläuterte die Beschreibung der Jury im persönlichen Gespräch so: „Nikolaus Brass orientiert sich in seiner Arbeit nicht an Moden oder Trends. Er sucht seinen Weg im Dialog mit anderen, bleibt dabei aber bei sich selbst. Er achtet nie auf Effekt, auf Eindruck oder Verwertbarkeit.“ Und die Musik? „Sie kreist nicht um die Schönheit, sondern um die Wahrheit.“
Die Wahrheit in der Kunst, die „echte“ Kunst. Sie kann, so Nikolaus Brass, nur mit dem „liebenden Blick“ erreicht werden. Dieser liebende Blick ist Achtsamkeit, ist die Annahme des Gegebenen als Gegebenes, ist der liebende, nicht der zynische Blick auf die Endlichkeit des Menschen. So beschreibt Nikolaus Brass die notwendige Einstellung, die neben einem persönlichen Standpunkt und einer kritischen Analyse und Kenntnissen des Vorhandenen – beispielsweise in der Musik – da sein muss, wenn etwas Wahrhaftiges entstehen soll.
Seine Musik ist wahrhaftig. Und sie ist mit der Achtung vor den interpretierenden Musikern und dem Publikum gesetzt. Sie ist ein Spiegel des von ihm Gesehenen und Erlebten und sie erfordert ein aktives Zuhören. Ein Achten auch aufs kleine Detail, jedoch nicht all zu bewusst: ideal ist ein „liebendes“ Zuhören, dass sich darauf verlässt, etwas Wahrem zuzuhören.
So kann diese Musik dem Zuhörenden die Ohren und das Herz öffnen – wie dem Komponisten selber in seiner Jugend bei Konzertbesuchen in München, die ihm die musikalische Weltliteratur als Konzert- und Aufführungs-Erlebnis nahebrachten. Und die Musik kann etwas zum Schwingen bringen und sich so verständlich machen.
Dies gilt, natürlich, nicht nur für Nikolaus Brass‘ Musik, für diese aber besonders. Es gilt auch nicht nur für Neue Musik, sondern allgemein für die Kunst.
Nikolaus Brass, geboren 1949 in Lindau, ist im Hauptberuf seit 1982 Redakteur einer medizinischen Zeitschrift, nachdem er vorher mehrere Jahren als klinischer Arzt tätig war. Bereits während des Medizinstudiums in München begann er private Kompositionsstudien an der Musikhochschule München. Er setzte sie – wie das Studium der Medizin – noch an anderen Orten fort.
Und nun: „Ich bin kein professioneller Musiker“, sagt er bescheiden. Denn mit dem, was seine Werke einspielen – und das ist in einer marktwirtschaftlich basierten Gesellschaft ja entscheidend -, damit kann man keine Familie ernähren.
Also ist er kein Profi. Allerdings leben die meisten Komponisten-Kollegen von Lehr-Aufträgen und Lehr-Tätigkeiten, nicht so sehr von den Tantiemen ihrer Werke. Das sagt Nikolaus Brass und das zeigt uns: vom Profi-Status ist er nicht so weit entfernt. Der Unterschied ist tatsächlich nur die Freiheit von dem Zwang, den Lebensunterhalt durch seine Kunst verdienen zu müssen.
Bleibt noch zu sagen, dass der freudige Anlass der Verleihung vom Tod des Musikkritikers Reinhard Schulz überschattet war. Er hatte die Laudatio auf Nikolaus Brass verfasst und war knapp eine Woche vor der Veranstaltung nach langer schwerer Krankheit im Alter von nur 59 Jahren gestorben.
An seiner statt wurde die Laudatio von Jürgen Jung, Rundfunksprecher und ein Freund von Reinhard Schulz, vorgetragen.
Alle Redner würdigten sein Schaffen, besonders Nikolaus Brass, der sagte: „Ich schulde Reinhard Schulz sehr viel. An seinem Beurteilen, das nie ein Verurteilen war, habe ich viel gelernt. (…) Mit Reinhard Schulz fehlt künftig eine wichtige Stimme. Seine Worte, die wir gerade gehört haben, gehen weit über den heutigen Anlass hinaus. Sie berühren die Frage unserer Selbstachtung. Und damit die Frage, welche Rolle im privaten wie öffentlichen Bereich Achtung in unserem Leben einnehmen will. Und es folgt daraus die Frage nach den Aufgaben der Kunst in einer Gesellschaft, die sich anschickt, Achtung und achtsamen Umgang mehr und mehr einem globalen Zynismus des Zweckes zu opfern.“
Gelegenheit, die Musik von Nikolaus Brass zu erleben, wird es aus Anlass seines 60. Geburtstags am Samstag, dem 24. Oktober geben. In der Spielstätte Schwere Reiter werden ab 17 Uhr die Werke „Songlines“ (für Solostreicher) und „Zeit im Grund“ (Konzert für zwei Klarinetten und Streichorchester) von Nikolaus Brass aufgeführt.
Mehr Infos hier: http://www.schwerereiter.de/programm.html
Schwere Reiter, 81539 München, Dachauer Straße 114, Tel. 089 – 21 89 82 26
Gespräch mit Nikolaus Brass: Der Blick der Liebe
Pressemeldung auf muenchen.de
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